Freitag, 9. Juni 2017

"Rechte Linke"

Ein wirklich linkes Bewusstsein ist essentiell, um auch linke Ziele in der Gesellschaft zu 
verwirklichen, dafür müssen Menschen, die sich als links verstehen, erst einmal wissen, was "linkssein" wirklich bedeutet. 

Das politische Spektrum wurde nicht einfach aus dem nichts willkürlich erfunden, stattdessen beruht es auf einer Beobachtung. In den ersten französischen Nationalversammlungen ergab es sich, dass sich zwei kontrahierende Flügel gegenüber saßen. Nach ihrer Sitzaufteilung wurde die beiden Gruppen von da an als "La Gauche" (die Linke) und "La Droite" (die Rechte) bezeichnet. Rechts saßen die Konservativen und der Adel und erklärten "der König und die Adeligen halten ein von Gott gegebenes Recht und sind auserwählt, somit sollen sie über alle herrschen!". Dagegen saßen links die Aufklärer und die Liberalen und widersprachen den Rechten. Die Linken behaupteten "alle Menschen sind gleich, deshalb soll auch ein jeder mit dem Recht ausgestattet werden mitzubestimmen!". Die Beobachtung ergab, dass zwei konkurrierende philosophische Lager existieren. Die Rechten möchten eine hierarchische Gesellschaftsordnung
beibehalten bzw. ausweiten, und begründen dies mit einer Ungleichheit der Menschen, während die Linken davon ausgehen, dass alle Menschen gleichwertig sind und streben so eine absolut demokratische und egalitäre Gesellschaftsordnung an. Es gilt, je mehr Hierarchie oder Demokratie man verlangt desto mehr rückt man nach links oder rechts auf dem Spektrum. Schon vor der französischen Nationalversammlungen existierte der Kampf der Herrscher gegen die Beherrschten, doch erst dann fiel dieser Kampf zum ersten Mal wirklich auf und es enthüllte sich ein interessanter Kontrast bei der Rechtfertigigung beider Seiten. Die Linken begründeten ihre Bewegung auf der Wissenschaft, der Aufklärung und des Humanismus, dem konnten die Rechten nur die Religion und die "offensichtliche Überlegenheit" des Adelsstandes entgegensetzen. Rechts kann seine angestrebte Ungleichheit und seine herarchische Gesellschaftsvorstellung nicht rational, sondern immer nur imaginativ begründen, da es am Ende versucht einzelne Gruppen über alle anderen Menschen zu heben.
Schaut man nun in die Geschichte und auf die aktuellsten Ereignisse, erkennt man dass viele der heutigen rechten Bewegungen "linke" Slogans und Ideale nutzen, um sich selbst eine Rechtfertigung zu verleihen. Das berühmteste Beispiel ist vermutlich das Christentum. Vielleicht nicht unbedingt als "links" zu definieren, aber relativ zum zeitlichen Kontext, beruhte es dennoch auf  einem gleichheitlichen Menschenbild und Ideen des Gewaltverzichts. Begründet wurde es sozusagen von einem Flower-Power-Hippie, der für unendliche Nächstenliebe stand und der Obrigkeit sowie auch den Geldverleihern in den Tempeln den Kampf ansagte. Doch das änderte sich, als die Eliten Europas verstanden, dass sie diese populäre Bewegung nutzen konnten, um ihre eigene Herrschaft zu rechtfertigen. So wurde das Christentum mit dem Katholizismus, von der Religion der Unterdrückten, zur Religion der Unterdrücker. Nationalismus machte den gleichen Wandel durch. Ursprünglich die demokratische Opposition gegen die Monarchie und die personale Herrschaft, ist er heute ähnlich zu verstehen wie der Rassismus. Selbst der Liberalismus und seine Ideale werden mittlerweile selbstverständlich missbraucht. Ursprünglich an der Gleichheit und Freiheit aller Menschen interessiert, sind es Liberale in den USA und Europa, die die Wirtschaft deregulieren wollen, gegen soziale Maßnahmen kämpfen, für uneingeschränktes Unternehmertum stehen und so mehr Ungleichheit schaffen. Auch der Libertarismus und Anarchismus werden immer häufiger von sogenannten "Anarchokapitalisten" missbräuchlich verwendet, um eine absolut sozialdarwinistische Gesellschaftsordnung anzustreben, die mit linken Idealen nicht mehr vereinbart werden kann. 
Sogar die Republikanische Partei in den USA unter Lincoln hatte noch den Wahlkampf-Slogan "die Menschen, die in den Mühlen arbeiten, sollten diese auch führen und besitzen!". Die Lohnarbeit bezeichneten sie als "Lohnsklaverei" und sogar als "schlimmer als die gewöhnliche Sklaverei". Heute ist bei den Republikanern von diesen alten Werten nicht mehr viel zu erkennen. Da sich "Markt und Profit" scheinbar nicht als valide Rechtfertigungen für neue Kriege eignen, führt man anstattdessen die Ideale "Demokratie und Freiheit" an, um Bomben auf Zivilisten fallen zu lassen. Wir erkennen eine immer wiederkehrende Methodik bei der Vermarktung einer bestimmten Politik. In den letzten Jahren konnten wir erleben wie selbstbezeichnende Sozialdemokraten immer weiter nach rechts rückten und unter dem Banner der "sozialen Gerechtigkeit", den Reichsten noch mehr Wohlstand auf dem Rücken der Menschen zukommen ließen. Die UDSSR und ihre Verbündeten zeigten uns mit bleibendem Eindruck, wie autoritäre Gruppen und Persönlichkeiten auch den Sozialismus und den Kommunismus missbrauchen können, um ihre Machtansprüche zu rechtfertigen. So existieren auch heute noch Gruppen und einzelne Personen, die sich als "links" bezeichnen, doch weder für die Gleichheit noch für die Demokratie einstehen, stattdessen wie andere rechte Gruppen lediglich Symbolen, Persönlichkeiten und dem Kriegerkult fröhnen, zusätzlich noch antisemitisch, antiislamisch, antipluralistisch, antidemokratisch, antifeministisch und autoritär agieren.

Links und Rechts sind nicht definiert als zwei fixe Gruppen, die gegeneinander antreten. Viel mehr sind sie Adjektive, die eine politische Einstellung beschreiben, eine Grundhaltung, die von einem gewissen "Ist-Zustand" ausgeht, nämlich der Gleichheit und der Gleichberechtigung aller Individuen. Hieraus resultiert wiederum ein "Soll-Zustand", eine Idee, eine Vision einer Gesellschaft, die diese Eigenschaften hervorhebt und berücksichtigt. Die Linke als politische Kraft kann ihren Kampf niemals gewinnen, wenn sie sich ihre Banner immer wieder entreißen lässt und zulässt, dass ihre Werte missbraucht werden. Es braucht dafür ein wirkliches "linkes Bewusstsein", eine Selbstreflexion, die feststellt "warum bin ich links, was bedeutet das und was ist mein Ziel?" und auch die Fähigkeit rechte Mängel in der Linken, aber auch außerhalb zu erkennen und zu kritisieren, denn sonst werden wir immer wieder zurückfallen.

"Man setze den aufrechtesten Revolutionär auf einen Thron, und er wird zum schlimmsten Diktator.", sagte einst der anarchistische Denker Michail Bakunin. Der Kampf gegen Rechts mag nobel wirken, gerecht erscheinen und Gewalt und Autoritarismus in diesem Fall zu befürworten, aber eine Bewegung, die diktatorische Maßnahmen ergreift, um eine absolut demokratische, egalitäre und freiheitliche Welt zu erreichen, läuft höchste Gefahr selbst in einer autoritären Diktatur zu enden, da die Akteure dieser Revolution gelernt haben, dass dies der richtige Weg ist um mit allen Hindernissen fertig zu werden, während die observierende Mitte der Bevölkerung ihre Unterstützung entsetzt entsagt. Die angestrebte Utopie muss in der linken Bewegung selbst von unten beginnen und dort konsequent gelebt werden. Wir müssen verstehen, dass politische Gegner keine Feinde sind, die besiegt werden, sondern Menschen sind, die wir noch nicht überzeugen konnten, so unangenehm diese Wahrheit auch sein mag. In diesem Sinne rufen wir alle Anhänger*innen der Linken als politische Kraft dazu auf, sich selbst zu hinterfragen, ihre eigenen rechten Mängel zu identifizieren, darüber zu reflektieren, um sich am Ende gegebenenfalls zu reformieren.